Wenn man sich Videos vom Square Dance Veranstaltungen ansieht, so sieht man sehr oft volle Hallen mit vielen Squares und vergleichsweise junge Menschen, die mit viel Energie und Schwung unterwegs sind. Es macht Spaß zuzusehen und zuzuhören. Auch wenn ich bei den Videos oft kritisiere, dass es insbesondere im Bereich Ton bessere Aufnahmen geben müsste, so bleibt doch ein positiver Eindruck zurück.
Hier einige Beispiele:
https://www.youtube.com/watch?v=s8iE04ExOUs
https://youtu.be/YRf4L_BRK6w
https://youtu.be/vUTyE_n1D2k
Und so sind ja tatsächlich viele der Jamborees, der Specials oder auch die Veranstaltungen von einzelnen Vereinen zu besonderen Anlässen. Es treffen sich Leute, die gerne reisen, die sich gerne mit anderen treffen und gemeinsam das Tanzen genießen. Wirklich ein tolles Hobby. Da muss man doch mitmachen oder?
Der Tanzlevel ist hoch und es wird flott getanzt; die Figuren sind oft anspruchsvoll und werden von den meisten mit Bravour gemeistert. Dies ist auch der Eindruck, den man in amerikanischen Foren immer wieder liest: „In Germany the pace ist much higher and they dance at least FULL Mainstream and PLUS“. Dieser Eindruck ist natürlich durch diejenigen Caller entstanden, die hier leben, bzw. lebten (Al Stevens, Kenny Reese, Walt Burr) und die, die immer wieder hierher kommen und hier engagiert werden – wie z.B. Tony Oxendine oder Johnny Preston.
Dies ist also das Bild, das wir vom Square Dance haben? Nur gute bis ausgezeichnete Tänzer/innen? Alle reisen viele Kilometer und der Square Dance ist ihr einziges Hobby, dem alle Energie gewidmet wird? Alle Tänzer wollen komplizierte Choreo; wollen Scoot Back Once and a half oder Half Zoom oder Dive Thru aus Linien tanzen?
Wenn ich Diskussionen von Callern höre, so scheint dem so zu sein. Und ja – es gibt fast 70 Gruppen in Deutschland, die MS und Plus hinter sich gelassen haben und sich nun hauptsächlich mit A1-C3A befassen. Für diese Tänzer und diese Caller ist das beschriebene Szenario Tatsache. Und von diesen wird auch meist die Diskussion geführt – Sie haben die Meinungsführerschaft!
Ich möchte mich heute einmal mit einem anderen Gesicht von Square Dance befassen. Das ist die Sicht der ganz kleinen Clubs, die so gerade überleben. Es ist die Sicht der Tänzer, die nicht richtig ausgebildet sind, bzw. die Schwierigkeiten mit dem Takt, dem Überblick über ihren Platz in der Formation haben. Oder anders ausgedrückt die Sicht des „schlechten“ Tänzers, der „unsicheren“ Tänzerin.
Es gibt jede Menge Leute, die Spaß am Tanzen haben (oder nachdem sie bei uns waren erst bekommen haben); die aber einen Beruf, eine Familie und andere Interessen und Hobbies haben. Es gibt neben Square Dance andere Prioritäten. Nehmen wir darauf Rücksicht? Sind Multi-Cycle Classes dafür die Lösung?
Ich möchte Euch vermitteln, dass es Caller gibt, die nie für mehr als 2 Squares gecallt haben, die immer wieder Kompromisse eingehen MÜSSEN. Diese stehen aber trotzdem jede Woche am Mikrofon und haben über die Jahre hunderte von neuen Square-Dancern „produziert“. Sie kommen aber in der „offiziellen“ Square Dance Welt kaum vor. Ich nenne Sie „Alltags-Caller“ im Gegensatz zu den Festival und Special Callern (wobei sich beides natürlich nicht ausschließt!!).
Am Schluss werde ich auch auf „The Proposal“ eingehen und welche Hoffnungen ICH damit verbinden würde. Und ich konnte auch nicht umhin mir Gedanken zu machen, wohin die Reise meiner Meinung nach gehen sollte.
Ich werde diese Eindrücke anhand eigener Erlebnisse und Erfahrungenschildern. Aber ich bin überzeugt ähnliches haben viele Caller und Tänzer erlebt. Wenn Gäste unseren Club besuchen frage ich diese gerne aus. Wie ist Euer Club; Euer Caller. Wie viele seid Ihr? Was tanzt ihr. Wenn man genau hinhört so entdecke ich viele Gemeinsamkeiten.
Die „schlechten“ Tänzer
Ich traf eine kleine Gruppe, geleitet vom einem Englisch-Lehrer, der auch in diversen Tanz-AGs aktiv war und einen Nicht-Caller, der die Stelle für seine damalige Freundin – heutige Frau – freihielt. Aber wir haben Square Dance getanzt. Circles und Handsterne, Right and left thru, Dive thru, pass thru … (erkennt jemand den Chickien Plucker?) Und es hat mir Spaß gemacht.
Nach 2-3 Monaten hieß es plötzlich „Komm mit zur SJN“. Die Square Dance Gruppe in der Sportjugend Niedersachsen (gibt es auch heute noch: http://www.sjn-squaredanceclub.de/). Damals traf man sich 6 mal im Jahr für 24 Stunden (Samstag mittag bis Sonntag mittag) und hielt Workshops zum Thema Square Dance und auch Classes für Students ab. Zu Beginn wusste ich weder was eine Ocean Wave ist noch was mit Square Thru gemeint ist. Nach genau einem Jahr wurde ich graduiert. Wenn man die Anzahl der Stunden berechnet (6*8 Stunden Intensiv-Training) so entspricht das fast der Empfehlung von Callerlab. Daneben habe ich ja auch noch lokal getanzt.
Danach glaubte ich ja daran überall tanzen zu können. 1-2 Besuche bei Clubs und Veranstaltungen in Hamburg belehrten mich eines Besseren. In keinem Square konnte ich mithalten und habe mich nach wenigen Versuchen in die Ecke verkrochen und zugeschaut. Lokal hatten wir weiterhin unseren Spaß. Wir haben sogar Auftritte gemacht und bei der Heirat eines Square-Paares vor der Kirche mit Ihnen getanzt. Heute weiß ich: Ich war ein SCHLECHTER Tänzer und nicht ordentlich ausgebildet.
1987 stand ich dann vor der Wahl: Mit der nun vorhandenen Callerin ganz neu anfangen oder Freudin/Frau und Kind als Ausrede zu benutzen und aufhören. Die Wahl viel auf das Letztere. Erst 1995 ging es dann weiter. Ich habe die Class noch einmal absolviert (bei einem guten Caller) und endlich alles das begriffen, was ich vorher nicht gelernt hatte.
Ende 1997 stand dann der Caller auf der Kippe und ich habe zaghaft den Finger gehoben und schon war ich Caller. Wieder ähnliche Situation: Man erwartete von mir alles zu wissen – aber war in vielem hilflos. Anfang 1998 dann gleich die 1. Callerschool bei Chris Kindl und Hans-Gerd Gasser. Ohne die beiden hätte ich auch das Callen schnell wieder eingestellt. Nun mache ich diesen Job schon mehr als 25 Jahre.
Geblieben ist mir das Verständnis für Leute, die den Square Dance nicht richtig beherrschen. Und dafür gibt es sehr viele Gründe. Klar ein Grund ist die schlechte Ausbildung. Aber ich bin überzeugt, alle Caller geben hier ihr bestes. Keiner will schlechte Tänzer „produzieren“. Aber manchmal reichen einfach die pädagogischen Talente einfach nicht aus.
Aber im Laufe der Zeit habe ich auch viele andere Gründe beobachtet, die nicht mit dem Caller zusammenhängen und manchmal schwer zu erkennen sind. Hier ein paar Beispiele aus meiner Praxis:
– Da war der Tänzer, der ausgesprochen verstandesbetont „funktioniert“. Beim Square Dance muss es Ziel sein gewisse Muster wie Square Thru einzuüben und dann „ohne Nachzudenken“ auszuführen. Man muss Muster einüben und ausführen. Diesem Mann war das nur bedingt möglich. Jede Bewegung wurde vor der Ausführung mehrfach im Gedanken überprüft und die Ausführung wirkte dann steif. Dabei hat er eine hohe soziale Kompetenz und uns im Clubleben mit seinem Vorleben oftmals beschämt. Aber er konnte sich nicht seinem Gefühl überlassen und brauchte daher bei den meisten Calls erheblich länger.
– Da ist die Tänzerin, die lange Jahre im Profibereich Standard getanzt hat. Sie ist – egal wie man versucht es ihr zu erklären – nicht in der Lage Figuren alleine auszuführen. Split Circulate; all 8 Circulate, Spin chain thru … keine Chance. In ihrer ganzen sportlichen Karriere wurde sie immer geführt. Solange sie jemanden an der Hand hat – alles paletti – Aber bestimmte Calls brauche ich bei ihr nicht zu callen.
– Da sind die Tänzer mit leichten körperlichen Behinderungen – etwa leichter „Hinkefuß“ oder eine gelegentliche Muskelschwäche oder – aktuell – eine die nach einem Beckenbruch wieder laufen lernt. Sie benötigen zur Ausführung entscheidende Bruchteile von Sekunden mehr. Ergebnis: sie können das Tempo nicht mitgehen.
– Dann gibt es natürlich diejenigen, die keinerlei Taktgefühl oder musikalisches Einfühlungsvermögen haben. Trotzdem habe ich oft eine unheimliche Begeisterung festgestellt, weil sie nun „TANZEN“.
– Irgendwann schlägt das Alter zu und man wird langsamer. Soll ich meine älteste Tänzerin (93) rauswerden, weil sie 126 Beats nicht mehr mitgehen kann?
Gemeinsam ist all diesen Personen: Sie haben Spaß am Tanzen; Sie verlassen mit einem Lächeln den Clubabend; Sie haben Freunde und sozialen Anschluss im Club gefunden.
Nun sagen vielleicht einige: Wenn sie es nicht gebacken bekommen – dann muss man sie wegschicken? Mal abgesehen davon, das wir es uns kaum erlauben können auch nur eine Person „wegzuschicken“ – sagt jemand ernsthaft diese Menschen wollen wir nicht?
Ich habe sie alle genommen und mit ihnen Spaß gehabt. Ja – es ist für mich als Caller schwer damit umzugehen. Ja – sie halten die anderen auf und nicht alle sind tolerant gegenüber diesen Personen. Aber – menschlich habe ich mich mit allen verstanden und sehe es auch als meine Aufgabe an, ihnen ein Angebot zu machen. Ich finde es einfach nicht richtig sie als „Left Foot Charlies“ auszugrenzen.
Wie geht Ihr damit um? Macht ihr Ihnen – wie ich vielfach beobachtet habe – einfach das Leben so schwer (etwa in dem man ihre Schwächen ignoriert) damit sie dann die Lust verlieren und von selbst gehen?
Ich habe viele Tänzer beobachtet, die sich irgendwann berappelt haben und tolle Tänzer geworden sind. Ich habe den Mann im Sinn, bei dem ich in den ersten Wochen keine Chance gesehen habe zumal man mir zuraunte „er sei ein Stiesel“. Jahre später wurde er per Akklamation von allen Tänzern zum „Quasi“ President berufen und war einer der besten Tänzer – es hat nur etwas gedauert bis auch Dixie Style saß und er sich den Courtesy Turn beim Square Thru abgewöhnt hatte.
So habe ich eine Reihe von Tänzer/innen erlebt, die man in der Schule Spätzünder genannt hätte. Habt Ihr diese alle verloren gegeben?
Die „schlechten“ Caller
Neulich war ich wieder einmal bei einem anderen Club als Vertretung engagiert. Ein Tänzer-Paar kam dann zu mir und sagte „Toll das Du wieder einmal da bist! Du kannst wenigstens singen!“. Ich dankte und muss wohl etwas fragend geguckt haben. Dann kam „Na ja – wir erleben hier ja auch anderes“. Da wurde mit bewusst, das die Tänzer uns auch bewerten. Sie denken in Kategorien wie besser und schlechter!
Während der Corona-Zeit gab es eine Zoom-Sitzung mit einem amerikanischen Caller, der genau dieses zum Thema machte. Wenn es denn ein Ranking von Callern gibt, dann gibt es sicher das „obere Viertel“ oder die „oberen 10 Prozent“. In Deutschland wären dies 30-50 Personen, die man auch auf vielen Specials oder Jamborees am Mikrofon erlebt. Aber logischerweise gibt es dann ja auch 90%, im Ranking mittelmäßig, bzw. schlecht abschneiden! Wenn man sich selbst einordnet muss man sich also fragen: Gehöre ich nicht zu den Mittelmäßigen oder gar zu den schlechten?
Ich erinnere mich an eine Callerschool in Bad Wörrishofen – damals mit Dirk Lomans als Coach. Er sagte – sehr diplomatisch – einem Kollegen: „Also Du und die Musik ihr seid noch keine Freunde und es wird auch schwierig werden diese Freundschaft zu entwickeln. Vielleicht hilft Dir ja Gesangsunterricht“. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich diesen Caller wieder gesehen. Er war unter SEINEN Tänzern und wurde von ihnen offensichtlich bewundert…
Ich erinnere mich an einen Gasttip einer Callerin. Neben mir stand eine Chorleiterin und Treasurer im Club. Wir haben beide das Gesicht verzogen und uns krümmten sich die Fußnägel ….
Ich habe Caller gesehen, die nach vielen Jahren immer noch mit einem Windows 95 Laptop und knapp 100 Musikstücken unterwegs sind ….
Dabei komme ich auch auf einen Aspekt zu sprechen: Geld. Nicht jeder Caller kann sich das neueste Equipment und jede Woche diverse neue Musik leisten. Für die meisten Caller ist das Callen kein gewinnbringendes Geschäft. Die Anfangsinvestitionen sind hoch und auch später gehen viele Einnahmen für Platten, Ersatz-Equipment usw drauf. Trotzdem gibt es Caller, deren Hauptmotiviation es ist etwas (dazu) zu verdienen.
Das ganze ist natürlich noch komplizierter. Ein sehr guter Caller muss viele Eigenschaften in sich vereinen: Er muss ein guter Sänger sein, ein guter Choreograph, sollte gute soziale Eigenschaften besitzen und muss auch noch ein guter Lehrer sein. Ich meine: Es gibt kaum einen Caller der sich bei ALLEN Anforderungen bei den oberen 10% befindet. Daher kann der oben erwähnte „schlechte Sänger“ über viele andere tolle Eigenschaften verfügen, die ihn dann bei seinen Tänzern beliebt machen. Also ab wann ist man ein wirklich schlechter Caller?
Aber: Wenn ich am liebsten singe und das Teachen mir ein Greuel ist: produziere ich „schlechte Tänzer“.
Ob wir es nun wahr haben wollen oder nicht: Es gibt nicht nur „schlechte“ Tänzer, sondern auch Caller, die nicht im oberen Viertel des Ranking liegen. Lässt es unser Ego zu dies zuzugeben? Sind wir bereit uns selbst zu bewerten oder bewerten zu lassen? Ich befürchte für viele Caller ist die Antwort: NEIN. Denkt nur einmal an die immer wieder aufflammende Diskussion um den Erwerb der vollen Mitgliedschaft bei der ECTA: Ja keine Prüfung!!
Der Zeitfaktor
Zu den Dingen, die in der Persönlichkeit der Tänzer und Caller liegen gibt es aber auch andere Entwicklungen, die den heutigen Square Dance beeinflussen. Diese waren vor 50 Jahren in dem Maße nicht gegeben. Ich nenne das Problem „den Zeitfaktor“.
SSD soll in 12-14 Wochen unterrichtet werden. Das eventuell kommende MS50 soll ebenso Multi-Cycle Classes ermöglichen. Heutiges Mainstream soll laut Callerlab mindestens 58 Stunden dauern. Bei 2 Stunden pro Woche ergibt das 29 Wochen. In Deutschland hält man sich mit ca. einem 3/4 Jahr in etwa an die Vorgaben.
Aber was wenn man keine 8 Students hat? Dann bleibt in der Regel nichts anderes als die Classes in den Clubabend zu integrieren. Eine Stunde vor oder nach dem Clubabend oder alternierende Tips. Schon reduziert sich die Stundenzahl auf 1 Stunde oder auch nur eine halbe Stunde und die Zeit zu lernen verlängert sich entsprechend. Wenn für die Class nur eine halbe Stunde übrigbleibt – und das lässt sich oft nicht vermeiden – sind wir schon bei 116 Wochen (also 2 Jahren), die eine Class laut Callerlab dauern sollte!
Dazu kommen Ferienzeiten weil viele Clubs von den Schulferien abhängig sind und die Feiertage. Allein damit verlängert sich die Lernzeit. Macht ihr das oder fordert ihr die Tänzer so, dass sie in kürzerer Zeit lernen und missachtet dabei die Callerlab Empfehlung? Auch dadurch werden „schlechte Tänzer produziert“.
Dann kommen noch die individuellen Probleme hinzu: Es werden Tänzer krank; Tänzer haben – sofern sie nicht schon Rentner sind – Urlaub. Auch der Caller fährt evtl. in Urlaub. Oder die Familie kommt zu Besuch oder man hat am Clubabend Geburtstag und damit Gäste. Und selbst wenn ein Kurs nur 12 Wochen dauert haben viele andere Prioritäten. Dies wollte ich lange nicht wahr haben. Aber es trifft zu. Wenn man am Clubtag gerade bei schönen Wetter im Garten arbeitet, dann macht man weiter und versäumt den Clubabend. Wenn man plötzlich Überstunden machen muss; jemand in der Familie krank wird oder der Tänzer wird krank; man überraschend Besuch bekommt: Das Ergebnis ist immer gleich: Diese Tänzer erscheinen nicht zum Clubabend. Damit versäumen sie die Figuren der Woche. Einfach weiter ist für mich keine Option. Man muss also jede Woche erst mal alle auf einen Stand bringen, bevor man das Programm weiterführen kann.
Ich wundere mich immer, wie andere Caller mit diesen Problemen umgehen. Kommt das bei Euch nicht vor?
Bei mir hatte ich im Extrem einmal 4 verschiedenen Students auf unterschiedlichen Leveln. Zum einen begannen sie zu unterschiedlichen Zeiten und dann gab es länger dauernde Krankheiten. Es blieben 4 unterschiedliche Level – von Basic 1 bis Mainstream fast fertig. Wie macht man einem Student klar, das er die restlichen 5 Mainstream calls erst in einem halben Jahr lernt, weil man den kleinsten gemeinsamen Nenner nur im Basic mit 20 Figuren findet?
Als Ergebnis haben meine Classes teilweise über 2 Jahre gedauert. Solange die Tänzer ihren Spaß hatten und sie nicht von anderen indoktriniert wurden „man müsse ja unbedingt andere Clubs besuchen“ war das nie ein Problem. Aber es wäre natürlich schöner, wenn sie bereits während der Class öfter Gelegenheit hätten in größerem Kreis zu tanzen. Warum organisieren wir nicht mehr Student-Events?
Wie schafft Ihr es all diese Probleme, die nun doch nicht nur bei mir auftauchen, aufzufangen. Meine Erklärungen wären:
– Man hat unverschämtes Glück und alle sind die ganze Zeit voll dabei
– man hat Angels, die an einem 2. Tag kommen um die Ausbildungszeit von 2 Stunden zu ermöglichen
– man lügt sich selbst in die Tasche und die Class-Dauer ist erheblich länger als geplant
– man forciert das Tempo erheblich und hofft, das alle mitkommen. Meiner Meinung nach produziert man aber so nur schlechte Tänzer. Oft drängelt ja auch die Clubführung, weil man ja unbedingt eine neue Class möchte.
Warum auch immer: Man erschafft Tänzer, die bei den ersten Reisen „in die weite Square Dance Welt“ Schiffbruch erleiden. Denn dort nimmt man oft keine Rücksicht auf Neulinge.
Ich erinnere mich an ein Paar, das zum Bremer Herbstdance bei Kenny Reese zu uns in den Square kam und sich als Neulinge outeten. Die ersten! Calls im ersten! Tip waren: „Heads Spin the Top; Recycle; Swing thru; Scoot Back“ – und so ging es weiter. Ich hatte die Faust in der Tasche und das Paar ward den Rest des Nachmittags nicht mehr gesehen. Hoffentlich hatten sie einen Heim-Caller, der sie aufgefangen hat. Oder ging es Ihnen wie mir damals und sie haben erst mal keine Veranstaltung mehr besucht?
Kleine Clubs
1999 habe ich meinen eigenen Club mit Hilfe der Volkshochschule gegründet. Lange Jahre waren wir nur 8-10 Leute. Ich hatte eine Dame, die ständig allen Mitgliedern hinterher telefonierte: „Wenn DUUU nicht kommst können wir nicht tanzen“ war ihre ständige Drohung. Und fast immer hatte sie Erfolg. Abgänge – die meist nichts mit Square Dance zu tun hatten – hielten sich die Waage mit neuen Mitgliedern, die ich ausgebildet habe. Es ging nur seeehr langsam aufwärts – aber es gab dann endlich Zeiten, wo wir sicher sein konnten: Der Clubabend findet statt! In der Spitze – kurz vor Corona – haben wir manchmal mit 3 Squares getanzt. Danach und auch bis heute sind wir wieder am Anfang. Einzig wir haben jetzt WhatsApp anstelle „unserer Erika“.
Wir hatten nie die Gelegenheit Class und Club zu trennen. Den höchsten Zulauf hatten wir einmal mit 7 Personen, von denen einige aus verschiedenen Gründen eine völlig falsches Verständnis von Square Dance hatten. Übrig blieben 5 Tänzer. Bei einem Paar hatte Er dann einen Hörsturz. Das 2. Paar teilte uns während Corona ohne Begründung mit, das man nicht mehr komme (Allerdings stand der Einzug des Beitrags kurz bevor). Übrig blieb eine Dame, die heute zwar überall mittanzt und auch andere Clubs besucht – aber immer noch nicht graduiert ist.
Ich höre immer wieder, das es unzählige von derartigen kleinen Gruppen in Deutschland gibt. Vereinzelt sieht man Videos auf Facebook, wo sich ein Square in einer riesigen Turnhalle tummelt. Die Akustik ist folglich auch kaum in den Griff zu bekommen. Ich bewundere diese Gruppen. Sie tanzen! UND man sieht trotz der Umstände fröhliche Gesichter.
Dies ist das andere Gesicht von Square Dance: Keine großen Hallen mit hunderten von Leuten in einer einzigartigen Atmosphäre sondern 8 Personen bei schlechter Akustik. Und trotzdem tanzen alle Square Dance. Auch in diesen Gruppen gibt es Leute, die zu Veranstaltungen fahren, um sich dort einen Ausgleich zu den Mühen des eigenen Clubabends zu haben.
Aber auch die anderen – die NICHT auf Specials gesehen werden, die NICHT alle Figuren aus diversen Positionen beherrschen, denen EIN ABEND in der Woche ausreicht – sind Kunden von uns Callern! Es muss uns klar sein: Wenn wir diese Personen – also die „schlechten“ Tänzer, die „Left Foot Charlies“ nicht hätten – sehr viele Clubs würden nicht mehr existieren – und für die Weitgereisten wäre es eine Utopie 200 Unterschriften zu ergattern, weil es so viele Clubs nicht mehr gäbe.
Aber die Frage bleibt: Wie schafft man es einen kleinen Club über eine gewisse Schwelle (ich sage mal 3 Squares) zu heben. Wie bekommen wir die Tänzer erst einmal durch die Tür, damit wir sie überzeugen können? Gewiss nicht durch Levels, Choreo oder geringere Anzahl von Calls.
Der Alltags-Caller
Ich bezeichne mich manchmal als Alltags-Caller. Ich bespaße meine kleine Gruppe nun seit 25 Jahren. Der Aufbau einer weiteren Gruppe 2011-2014 endete als einige krank wurden, andere „diese Besuche von Fremden“ nicht tolerieren wollten. Außerdem gab man vielen Dingen (Gartenarbeit, Beruf, Kinder, andere Hobbies) eine höhere Priorität als Square Dance.
Ich habe vielleicht in den 25 Jahren 3 bis 4 mal vor mehr als 3 Squares gecallt. Ansonsten ist der Standard ein Square. Auch bei den Clubs die mich als „Aushilfe“ gebucht hatten habe ich nie mehr als 2 Squares vorgefunden. Ich calle nicht auf Specials oder Jamborees sondern nur „ZU HAUSE“ bei MEINEN Tänzern. Dies ist keine Klage. Ich will es gar nicht anders und mache es immer noch gerne.
Ulli Hantke formulierte kürzlich in seinem Blog „Klar alle Caller wollen auf Jamborees callen“. Nein – Ulli – wollen nicht alle!
Aber eine Entwicklung als Caller findet schon viele Jahre nicht mehr statt. Ich bin Theoretiker. Ich kenne alle Definitionen (inkl. Plus) aus dem Eff-Eff. Und auch bei allen Square Dance Themen bin ich auf dem laufenden und habe auch eine klare Meinung.
Aber in der Praxis bin ich ein Genie darin Singing Calls zu kürzen oder beim Pattern nur Figuren zu callen, die den Square am Laufen halten. Wenn einzelne Tänzer lediglich noch 116 Beats schaffen kann ich kaum einen Singing Call im Original bringen. Dann werden also Folgen benötigt, die mit einer Null-Nummer (z.B. Scoot Back oder 8 Chain 4) enden, die man also bei Bedarf weglassen kann. Beim Callen kenne ich die Schwächen aller Tänzer. Ich habe dann jedes mal die Wahl den Square brechen zu lassen oder die Figur auszulassen, bzw. zu ersetzen.Box the Gnat? Geht schief bei X und bei Y – Also Pass Thru, U turn back! All 8 Circulate? Lieber Boys Circulate outside, Girls Circulate inside …. Ihr erkennt das Muster? Aber die Kreativität als Caller geht dabei natürlich verloren – einfach weil ich mich auf andere Dinge konzentrieren muss.
Ich erhalte so weit wie möglich die Illusion aufrecht, dass sie alle Figuren tanzen und es keinen Unterschied zu anderen Square Tänzern gibt. Selten – meist wenn Gäste da sind, deren Fähigkeiten ich nach ein paar Tests höher einstufen kann – drehe ich einmal voll auf – aber meist mit vorgefertigten Sequenzen und oft auch abgelesen. Aber dann kommt Stimmung auf und auch diejenigen, die noch andere Clubs besuchen kommen einmal auf ihre Kosten.
Bin ich ein schlechter Caller? Im Ranking – siehe oben- gehöre ich sicher nicht zu den oberen 10%! Aber auch die „schlechten“ Caller haben ihre Berechtigung! Ohne sie würde unser Hobby wahrscheinlich nicht mehr existieren.
– Ich habe viele viele neue Square Dancer „erschaffen“. Ob sie nun heute noch tanzen oder nicht – Sie reden positiv über dieses Hobby!
– Es gibt auch eine Fernwirkung (z.B. hatte ich eine Dame aus Sömerda, die es nach Ostfriesland verschlagen hatte. Sie suchte soziale Kontakte und fand sie bei Square Dance; Später hörte ich auch Ihre Schwester und Mann mussten Sömerda verlassen und landeten in Stuttgart. Was haben sie gemacht? Klar: Square Dance). Es gibt mehr solche Geschichten. Indem ich Leute mit dem SD bekannt mache erziele ich auch indirekte Wirkung.
– Ich ermögliche es jede Woche eine Reihe von Menschen ihre „normale“ Umgebung zu vergessen und 2 Stunden in eine andere Welt zu tauchen. Wenn ich es schaffe, das sie den Saal mit einem Lächeln verlassen – ja dann habe ich meine Aufgabe erfüllt und bin zufrieden.
In meinen Augen besteht Square Dance nicht in erster Linie aus einer Anzahl von Figuren, die man möglichst kompliziert aneinander reiht. Es geht nicht um eine bestimmte Anzahl von Figuren und Leveln. Es geht als Caller nicht darum vor möglichst vielen Tänzern zu callen. Es geht nicht darum die Programme möglichst intelligent zu interpretieren. Und es geht schon gar nicht um Geld.
Für mich geht es darum mit Musik und normierten Abläufen Menschen in Bewegung zu bringen. Dabei stellt sich ein Gefühl ein, das wir gemeinhin als „Spaß“ bezeichnen. Wir fühlen uns wohl und wollen mehr von dieser Droge. Das ist für mich die Quintessenz von Square Dance. Dafür mache ich den Job.
Und wenn ich mich nicht irre gibt es eine ganze Reihe von uns Alltags-Callern
Werbung
Aber zurück zu der Frage: Wie erreiche ich es, neue Tänzer zu gewinnen. Wohlgemerkt: die haben vorher nichts von Square Dance gehört. Die interessieren Level, Choreo, Kleidung überhaut nicht.
Wenn es um Werbung für unser Hobby geht sind wir mehr als dilettantisch. Jeder Verein muckelt vor sich her. Die meisten Clubs haben eine eigene Web-Seite. Die Inhalte sind immer wieder die gleichen. Man kann oft sehr viel Herzblut bei der Gestaltung erkennen. Aber es bleiben – mit wenigen Ausnahmen – laienhafte Entwürfe. Warum gibt es nicht eine professionell gemachten Auftritt, der die allgemeine Aspekte beim Square Dance – unterstützt von professionellen Videos und Werbematerial – darstellt. Die einzelnen Vereine könnten sich dann auf ihre eigenen Aspekte konzentrieren (IHR Caller, Ihre Geschichte, ihre Termine, Anfahrt usw.)
Was Werbung anbelangt sind mein Club und ich sind inzwischen ratlos! Wir haben schon eine volle Zeitungsseite in einer Wochenzeitung, die kostenlos an alle Haushalte verteilt wird – gehabt. Sehr professionell und gut gemacht. Mit Hinweis auf die Open Houses. Resonanz: Null komma gar nichts. Nicht ein Tänzer ist aufgetaucht.
Helfen uns unsere Organisationen?
Ketzerisch sage ich immer wieder: „Stellt Euch einmal vor: Der DFB wäre wie Square Dance organisiert: Es gäbe eine Vereinigung der Trainer, die bestimmen, wer in welcher Liga spielt und die Regeln diktiert und es gäbe eine Vereinigung der Vereine, die die Mitgliedsgebühren bei der UEFA und FIFA verwaltet. Ansonsten sind die Vereine und die Ligen auf sich selbst gestellt.“ Eine Nationalmannschaft gäbe es dann nicht, weil sich die Verbände dafür nicht zuständig fühlen.
Aber genauso ist SD aufgestellt. Warum gibt es nicht einige „Show-Gruppen“, die bei Auftritten bundesweit Werbung für SD betreiben – also quasi eine Nationalmannschaft. Oder regionale Repräsentanten? Oder regionale Verbände mit bezahlten Kräften, die Veranstaltungen und Werbung koordinieren.
Selbst im Lacrosse (es gibt in Deutschland erstaunlicherweise 60 Vereine mit ca. 5000 Mitgliedern) gibt es einen Dachverband, der Mitglied im Deutschen Sportbund (DOSB) ist. Es gibt 4 regionale Verbände. Überall gibt es de Facto hauptamtliche Mitarbeiter, die sich um Werbung, Regularien usw kümmern.
Im Square Dance sind noch 400 Vereine mit geschätzt 8000 Tänzer nach Corona noch aktiv. Warum schaffen wir es nicht uns professionell aufzustellen und Veranstaltungen zu organisieren, die auch national (Fernsehen, Rundfunk, Zeitungen) auffallen und den Vereinen eine Basis für weitere Werbung bietet. Warum nicht einen nationalen Square Dance Tag, an dem jeder Verein etwas öffentlich organisiert?
Ich musste bisher immer alles selbst organisieren. Aber in vielen Gebieten bin ich Laie und entsprechend sind dann auch die Ergebnisse.
Ein paar mal wurde ich als Vertreter des Vereins angesprochen. Wir haben 2 mal im Radio Square Dance repräsentiert. Einmal im lokalen Radiosender an der Mole in Norddeich und einmal beim NDR am Sonntag-Vormittag. Rasende Reporter stehen dabei im Mittelpunkt – nicht der Club oder das Hobby. Über diesen Reporter hat dann ein lokaler Fernseh-Sender (Friesischer Rundfunk) berichtet – mit uns im Hintergrund. Also waren wir auch im Fernsehen. Man bekommt plötzlich einen Anruf von einem Sender und muss darauf reagieren. Waren wir darauf vorbereitet? Nein! Gab uns irgendjemand Hilfestellung – Nein! Also schnell mal irgendwelche Tänzer, die gerade irgendwie verfügbar waren aktiviert und dann unvorbereitet dort erschienen. Und was bringt das? Selbst eine Student-Jamboree in Emden wurde vom NDR Reporter nach Oldenburg verlegt.
Frage: Wann war Square Dance zuletzt BUNDESWEIT im Fernsehen?
– Im Abspann beim Fernsehgarten im ZDF
– Paddy Bönke bei Elton in der Kindersendung 1-2 oder 3 und davor
– Lothar Weidich und Ron Everheart 1979 bei Freddy Quinn….
Hilft uns vielleicht „The Proposal“
Nun zunächst einmal ist für mich „The Proposal“ der knallharte Versuch die Entwicklung, die Jerry Story und andere mit T2000 begonnen haben, die sich über das ABC Programm bis SSD entwickelt hat, zu vollenden. Es soll SSD als Trojanisches Pferd (lt. Ted Lizotte) namens Mainstream (50) als einziges Start-Programm bei Callerlab etabliert werden. Gleichzeitig wird PLUS mit 60 Figuren so unattraktiv gemacht, dass nunmehr MS50 (=SSD) wirklich für die meisten Tänzer das Programm ist, in dem sie künftig tanzen. Nur ein kleiner Teil wird dann noch Plus tanzen.
In Amerika hätte dass für viele Gruppen zunächst keine Auswirkungen. Ein Ted Lizotte mit seinen MIT Brainiacs unterrichtet Zero to Plus in 14 Wochen – kein Problem. Die meisten Clubs sind eh Plus Clubs – obwohl damit oft nur Soft Plus (also MS und „the fun calls“) gemeint – kein Problem, da diese Gruppen genauso weiter machen werden wie bisher. Die wenigen MS Clubs bleiben MS Clubs und tanzen eben 18 Figuren weniger.
Nicht diskutiert werden aber die weiteren mittel- und langfristigen Folgen:
Es werden weniger Leute in die Plus Clubs eintreten und diese werden langfristig aussterben. Dies wurde von den Hardcore SSD Vertretern immer offen kommuniziert („Let them do their thing and gradually they will die out“). Man erschafft eine neue Square Dance Welt mit Tänzern, die weniger zu lernen haben und Callern, die sich nicht mehr so anstrengen müssen – so die Argumentation. Hinsichtlich der Caller halte ich es für falsch, da man mit weniger Figuren wesentlich kreativer sein muß, als wenn man 20 Figuren mehr zur Verfügung hat.
In Deutschland gibt es ca. 140 Clubs, die MS UND Plus tanzen. Bei einigen heißt es, dass es Tänzer gibt, die Plus einmal gelernt haben und wenn sich die Gelegenheit ergibt macht man einen Plus Tip oder auch einen ganzen Plus Nachmittag. Bei anderen Clubs gibt es einen separaten Clubabend mit Plus ausschließlich. Dazwischen jede Menge Mischformen. Diese Clubs werden sich neu sortieren müssen: Entweder man wird voller Plus Club oder es begnügt sich mit MS50. In diesen Clubs sehe ich jede Menge Konfliktpotential. Brauchen wir das?
Alles andere was als Argumente angeführt werden (Workbooks, Mehr Caller etc) halte ich für nicht stichhaltig. Guckt Euch nur mal das sogenannte Workbook für SSD an: Es ist nichts anderes als eine Sammlung von durchschnittlich 25 Sequenzen pro Abend (12 Abende). Die Sequenzen sind zwar inhaltlich aufeinander und hinsichtlich der Teaching Order abgestimmt. Aber ansonsten helfen sie niemanden – es sei denn ein Nicht-Caller stellt sich hin und liest diese dann vor. Einem neuen Caller hilft es nur, wenn er sich diese Sequenzen wirklich ausführlich erarbeitet. Und wie gesagt: bei weniger Figuren muss ich schon wesentlich kreativer in der Anwendung der Calls werden, um keine Langeweile aufkommen zu lassen.
Da ich kein ECTA oder Callerlab Member bin, werde ich nicht über dieses Proposal abstimmen müssen. ABER: ich würde es möglicherweise befürworten – und die Konsequenzen in Kauf nehmen.
Wenn ihr meinen Text vorher gelesen habt, werde ihr verstehen, dass sich meine Position wesentlich vereinfachen würde. Ich müsste nicht den Allemande Thar Kram oder die ganze Tag Familie unterrichten (inkl. 1/4 Tag und 3/4 Tag). Ich könnte mich im wesentlichen auf die Standard Applications konzentrieren. Material gibt es genug: Allein in der SSD Datenbank meiner CallerToolBox gibt es 600 Singing Call Folgen und über 800 Sequenzen, die nur die Figuren von SSD verwenden.
Die Konsequenzen (Schrumpfen der Plus Clubs etc) tangiert mich nicht. Aber selbst in meinem Club wird es Probleme geben. Einige der verbliebenen Tänzer werden nicht einmal merken, dass ich die heutigen MS Calls nicht mehr verwende. Aber es gibt einige Tänzer/innen, die ganz bewußt auch heute kein Plus lernen wollen. Aber Sie wollen „mehr“. Vor Corona waren wir so viele, dass ich zusätzliche Abende mit Extended MS angeboten habe. Diese Tänzer werden sich eventuell langweilen und mangels Alternative sich andere Hobbys suchen oder sich gezwungen sehen doch noch Plus zu lernen (und dort wahrscheinlich zu den schlechteren Tänzern gehören).
Nur Kritik? oder hast Du auch Vorschläge
Bisher klingt vieles negativ. Ist aber nicht so gemeint, sondern beschreibt eine andere Realität der Square Dance Szene. Und überlegt einmal: In allen Diskussionen wird doch eines als Tatsache immer implizit angenommen: Square Dance wird weniger und wir haben große Probleme. Dann diskutiert man über Listen, Kleidung, Choreografie, Callerausbildung oder auch wie man den „Tanz-Aspekt“ beim SD fördern kann. Alles wichtige Themen, die aber kaum etwas an dem Gefühl ändern einem Hobby zu frönen, das zum Aussterben verurteilt ist. Die Frage ist nur wie lange es noch dauern wird.
Da muß ich mir natürlich die Frage gefallen lassen: Bei aller Kritik – was wäre DEINE Lösung? Nun, Ted Lizotte wiederholt in seinen Vorträgen immer wieder „Es gibt nicht DIE EINE LÖSUNG um alle Probleme zu lösen“ Auch sein Vorschlag sieht er ehrlicherweise nur als einen Schritt in die richtige Richtung. Und da stimme ich ihm zu.
Meine Analyse geht aber in eine andere Richtung. Der Kernpunkt des Problems sind doch zu wenig Tänzer. Als in Amerika 10.000 und mehr Teilnehmer zu einer Jamboree kamen, hatte man keine Probleme. Schlechte Tänzer waren kein Problem – sie wurden einfach „gegangen“. Schlechte Caller waren kein Problem – es gab ja genug Alternativen. Da die Leute ja von selbst kamen, brauchte man auch keine Werbung – und wenn jemand in der Class nicht mitkam – OK dann war das nicht weiter schlimm.
Daher muß es doch das erste Ziel sein, neue Tänzer zu gewinnen. Dazu braucht es ein gemeinsame und koordinierte Anstrengung dies zu erreichen. Wir müssen unsere Zielgruppe klarer definieren (wirklich 8-80? Meine älteren Tänzer sagen mir dann „Ach nu schmeißt Du uns raus? Ich bin nun 80.“). Wir müssen Werbung professionell betreiben. Wenn 1 Club versucht für SD zu werben gibt es kaum Reaktion.
Aber was wäre wenn alle 400 Clubs in Deutschland gleichzeitig in allen möglichen Medien Werbung betreiben würden? Mit einheitlichen eingängigen Slogans? Begleitet mit Auftritten, Flash Mobs und mehr? Mit Kampagnen auf Facebook, Instagramm und Co? Mit eingängigen Videos und Bilder begleitet? Wo sich unsere SD-Nationalmannschaft präsentiert?Dies müsste aber professionell organisiert werden. Mit unserer Hobby-Einstellung kommen wir da nicht weit. Unsere derzeitigen Organisationen ECTA und EAASDC sind dafür z.Zt. nicht gerüstet. Dabei gibt es sowohl bei den Callern als auch bei den Vereinen jede Menge Potential, die wir leider nicht nutzen.
Also mein Hauptfokus läge auf den Aspekt mehr Tänzer zu generieren. Das würde auch nicht alle Probleme beseitigen, aber vieles erleichtern.
Noch ein Gedankengang. Wir verkaufen unser Hobby oft als „Square Dance is friendship set to music“. Also betonen wir den sozialen Aspekt. Wir sind stolz darauf keine Wettbewerbe zu veranstalten. Versuche in diese Richtung werden immer vehement bekämpft. Aber verhalten wir uns wirklich so?
Sicher – für eine Class finden wir fast immer Angels, die bereit sind Neulingen behilflich zu sein. Aber warum wollen so viele PLUS tanzen? Oder warum fliehen inzwischen viele Tänzer ins A1. Wirklich nur weil man gerne komplizierte Choreo will? Oder ist nicht meistens die Motivation dass man keine Rücksicht mehr auf die schwächeren Tänzer nehmen muss? Weil man „unter Gleichwertigen“ sein will? Ich befürchte ja.
Genau das versuchen wir aber mit unseren Listen. Wir definieren eine Anzahl von Calls und erwarten, das ALLE diese Figuren mit der GLEICHEN Präzision ausführen können. Geht aber nicht! Der Ansatz kann daher nicht über das Programm/Level erfolgen sondern muß bei den Tänzern ansetzen. In den meisten anderen Sportarten ist es klar, dass es Kreisklassenspieler und Nationalspieler gibt. Darüber wird nicht diskutiert und es ist auch jedem klar, in welche Liga er/sie gehört. Nur bei Square Dance sind nach der Graduation (ABSCHAFFEN!!) alle gleich gut und gerüstet für die weite SD Welt.
Statt der Graduation sollte jeder Tänzer eine Karte erhalten, auf der seine Qualifikation ersichtlich ist. Bei den Namen und Bezeichnungen müsste man etwas kreativ sein, um nicht negativ zu wirken. Clubabende und Veranstaltungen würden dann die gleichen Label erhalten. Diese Qualifikationen müssten klar definiert sein. Z.B. Kreisklasse 5: die ersten 20 Calls aus Standard Positionen; Bundesliga: FULL PLUS mit Extended Applications; Nationalmannschaft: A2; Weltelf: C3B … Es gäbe keine Level mehr, sondern nur noch Calls durchnummeriert von 1-500.
Mir ist klar, dass man so weit nie gehen wird. Aber mit den heutigen Leveln und der Gleichmacherei werden wir immer wieder Schiffbruch erleben. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Daher dürfte sich dies auch im SD widerspiegeln. Leider gibt es in kleinen Gruppen keine Möglichkeit der Differenzierung. Aber warum ist es verpönt, offen eine Einteilung in GUTE und SCHLECHTE Tänzer vorzunehmen. Im Prinzip weiß ja jeder wo er in etwa steht. Warum nicht auch offen „Labels“ vergeben – z.B. Anfänger, Hobbytänzer, Aufsteiger, Alter Hase …. Und dann ist es OK, wenn man mit einem gewissen Label zufrieden ist (Wie ich als Hobby-TT-Spieler). Und wenn man versucht weiter zu kommen (also um den einen Punkt kämpft) wird man vom Caller und von den Mittänzern unterstützt. Aber die Entscheidung, „wo man spielen“ möchte bleibt beim Tänzer. Es wäre unsere Aufgabe als Caller hier Klartext zu reden.
Dann gäbe es auch die Möglichkeit Veranstaltungen für die jeweilige Gruppe zu organisieren. Wenn man einmal sieht, wie gut Student Dances besucht sind, kann man erahnen wie erfolgreich Veranstaltungen z.B. für Hobbytänzer (mit Standard Choreo und limitieren Calls) sein könnten. Man könnte „Alte Hasen“ Specials veranstalten, wobei dann klar ist: Es wird Full Mainstream getanzt mit „No Prisoners taken“. Man braucht dann nicht auf Plus ausweichen – Mainstream genügt.
Um so etwas einzuführen müsste man aber SD anders verkaufen: Nämlich als SPORT, in dem es zwar keine Wettbewerbe gibt, aber doch der Leistungsgedanke gefördert wird. Dann könnte man auch jüngere Menschen als Zielgruppe definieren. Solange wir nur soziale Aspekte in den Vordergrund stellen, werden wir nur ältere erreichen!
Fazit
Was will ich mit diesen Artikel sagen bzw. erreichen?
Ich möchte möglichst vielen Kollegen und Kolleginnen die Augen öffnen für eine andere Sicht auf Square Dance.
Ja – Wir brauchen die Art von Square Dance, die bei ECTA und EAASDC propagiert und von diversen Clubs mit Specials und Jamborees und amerikanischen Callern praktiziert wird. Wir brauchen diese eher jüngeren Leute, die für uns Werbung machen. Wir wollen „professionelle Tänzer“.
ABER: Wir müssen auch Platz und Raum geben für das andere Gesicht von Square Dance. Den kleinen Gruppen, der Mühsal eine Gruppe am Laufen zu halten; Der Tatsache, das eine Class trotz SSD oder MS50 immer noch sehr lange dauern wird. Und den Alltags-Callern die sich täglich bemühen diesem anderen Gesicht des Square Dance Gestalt zu geben.
Wenn wir Caller ausbilden – und das müssen wir dringender denn je – so müssen wir sie auch auf diese andere Seite des SD vorbereiten. Wenn wir 10 Caller ausbilden, werden maximal 2-3 es schaffen in der Szene „berühmt“ zu werden. Die anderen müssen sich mit ähnlichen Problemen herumschlagen wie ich.
Und wir müssen es schaffen uns professioneller aufzustellen und insbesondere die Werbung zur Mitgliedergewinnung intensivieren. Wir müssten es schaffen eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen, um Square Dance auf ein neues Level zu heben (und damit meine ich nicht Mainstream oder Plus :-).
Ansonsten sehe ich eher schwarz für unsere Zukunft und Square Dance wird es in 20 Jahren kaum noch geben!